Der Stadt-Land-Graben der Schweiz

Am 13. Juni haben die Schweizer Stimmberechtigten über fünf nationale Vorlagen abgestimmt: Die Trinkwasserinitiative, das Pestizidverbot, das Covid-19-Gesetz, das CO2-Gesetz und das PMT-Gesetz. Rund 60 Prozent der Stimmberechtigten haben über diese Vorlagen abgestimmt. Im Vergleich dazu liegt die durchschnittliche Stimmbeteiligung der letzten Abstimmungen bei 46 Prozent. Es haben also rund 750'000 Personen mehr abgestimmt als z. B. im letzten November. Das ist die fünfthöchste Stimmbeteiligung bei einer Abstimmung seit 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt wurde.

Die Trinkwasserinitiative, das Pestizidverbot und das CO2-Gesetz wurden abgelehnt. Das Covid-19-Gesetz und das PMT-Gesetz wurden angenommen. Bei den zwei Initiativen zeigt sich, dass vor allem städtischere Kantone die Vorlagen angenommen oder eher knapp abgelehnt haben und ländlichere Kantone die Vorlagen deutlich abgelehnt haben. Beim Covid-19-Gesetz zeigte sich das umgekehrte Verhalten: städtischere Kantone nahmen das Gesetz deutlich an, während ländlichere Kantone das Gesetz ablehnten. Das PMT-Gesetz lehnte nur der Kanton Basel-Stadt ab, aber die ländlicheren Kantone nahmen das Gesetz weniger deutlich an als die anderen Kantone.

Trinkwasser

Stimmbeteiligung: 59.75% 
Ja: 39.32%
Nein: 60.68%

Pestizidverbot

Stimmbeteiligung: 59.73%
Ja: 39.44%
Nein: 60.56%

CO2-Gesetz

Stimmbeteiligung: 59.68%
Ja: 48.41%
Nein: 51.59%

Covid-19-Gesetz

Stimmbeteiligung: 59.65%
Ja: 60.21%
Nein: 39.79%

PMT-Gesetz

Stimmbeteiligung: 59.54%
Ja: 56.58%
Nein: 43.42%

Wie lässt sich dieser Unterschied zwischen den ländlicheren und städtischeren Kantonen erklären? WissenschaftlerInnen haben sogenannte «Konfliktlinien» entwickelt, um Ergebnisse bei Wahlen und Abstimmungen und die Entwicklungen von Parteien erklären zu können. Dabei gib es vier grundsätzliche Konfliktlinien:

Geld vs. Arbeit

Das Interesse von Personen, die viel Geld besitzen und Unternehmen besitzen gegen das Interesse von Personen, die weniger Geld besitzen und angestellt sind.

Kirche vs. Staat

Das Interesse der Kirche gegen das Interesse des Staats.

Stadt vs. Land

Das Interesse der städtischen Bevölkerung oder Wirtschaft gegen das Interesse der Landbevölkerung oder der ländlichen Wirtschaft.

Zentrum vs. randgebiet

Das Interesse von einem gemeinsamen Staat gegen das Interesse von föderalistischen politischen Systemen.

In der Schweiz spielt aber auch die sprachliche Konfliktlinie eine grosse Rolle, bei der die Interessen der verschiedenen Sprachregionen der Schweiz im Zentrum stehen.

Mithilfe dieser Konfliktlinien kann eine wahrscheinliche Erklärung für die Abstimmungsresultate gefunden werden. Es handelt sich bei den drei abgelehnten Vorlagen um Klima- und Umweltthemen, die besonders auch die Landwirtschaft betreffen. Die unterschiedlichen Resultate der städtischen und ländlichen Kantone zeigen das unterschiedliche Interesse der städtischen und der ländlichen Bevölkerung und Wirtschaft. Im Fall der drei vorliegenden Vorlagen hat die Mehrheit der Stimmbeteiligten das Interesse der ländlichen Bevölkerung und Wirtschaft unterstützt. In den Medien wird dieser Konflikt zwischen Stadt und Land auch «Stadt-Land-Graben» genannt.

Mehr zum Thema findet ihr auch hier.